Die Geschwister – director’s note

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DIE GESCHWISTER - director's note

Nach drei langen Spielfilmen, die ihre Geschichte jeweils in Form einer Reise erzählt haben, ist DIE GESCHWISTER ein Film in und über Berlin. Für mich ist Berlin eine beson­dere Stadt, sie bietet (immer noch) vergleichsweise viele Freiräume, deren Erkundung einer Reise manchmal nicht unähnlich ist. Doch auch hier sind die letzten Freiräume nie frei von Ökonomie - selbst wenn manchmal anders als in Euro gerechnet wird.

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Thies als Angestellter einer Woh­nungs­verwal­tung kennt die Spielregeln des Marktes, überwacht sogar ihre Einhaltung. Gleichzeitig stellt er sich bewusst so weit es geht außerhalb: er sammelt keinen eigenen Besitz, und wie zum Ausgleich arbeitet er unent­geltlich für Marcos, einen Trödelhändler, der seinerseits fremden Besitz nur durchreicht. Nach der Arbeit Sport – eine eigenartige Routine, aber stabil.

Auftritt Bruno, mit einem unzweideutigen Angebot. Thies ist nicht naiv - er weiß, dass auch Liebe und Sex immer Teil eines größeren Handels sind. Und Thies kann bieten, was den Geschwistern fehlt. Er bemüht sich nach Kräften um einen klaren Deal. Und kann doch nicht verhindern, dass langsam etwas ins Rutschen gerät, seine eigene Sehnsucht die fragile Balance der Geschwister durcheinander bringt. „Es gibt nichts umsonst“, sagt Sonja zu Anfang. Und sie wird Recht behalten.

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Eine Inspiration beim Erfinden der Geschichte war meine Erinnerung an das Grimm­sche Märchen 'Brüderchen und Schwesterchen': nach der Verwandlung von Brüder­chen in ein Reh sorgt Schwesterchen für beide, darf dafür des Nachts ihren Kopf weich betten. Als schließlich der Königssohn auftaucht erklärt sie, ihm nur unter einer Bedingung aufs Schloss zu folgen: „Aber das Rehchen muss auch mit, das verlass ich nicht.“ - Eine Entschlossenheit, die mich schon als Kind beeindruckt hat.

Die Geschlechterrollen sind heute offener, als Palast tut es auch eine 3-Zimmer-Wohnung. Dennoch ist der zentrale Konflikt in DIE GESCHWISTER eben dieser: eine solidarische Schicksals­gemeinschaft wird von einer romantischen Beziehung auf die Probe gestellt.

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Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlings­bewe­gungen scheint dieser 'private' Zugriff viel­leicht als privilegierte Perspektive. Und tatsächlich müssen Sonja und Bruno nicht im Freien campieren, von Not und (polizeilicher) Verfol­gung taucht höchstens eine Ahnung auf. So jedoch bleibt, wie ich hoffe, Platz für etwas anderes: für eine Begegnung auf Augenhöhe, die Fragen von Ökonomie und Status nicht ausblendet, und doch wagt, nach etwas universellerem - einer Utopie von gemeinsa­mer Nähe - als Gegenteil von Einsamkeit? – zu suchen.

Der Ausgang der Geschichte ist für mich kein Scheitern. Abgesehen von den Glücksmo­men­ten, die die Protagonisten im Verlauf der Geschichte erleben dürfen, geht es um Bewegung, als vielleicht elementarste Form von Freiheit. Bruno und Sonja ziehen weiter. Aber auch Thies' Blick geht nach vorn, nach draußen, auf die Straße. Es geht weiter.

Jan Krüger, November 2015